„Da kann auch ein Sandsack antreten“: In diesen Stadt- und Gemeinderäten bleiben AfD-Sitze leer

Weil die AfD nicht genug Kandidaten hat, bleiben viele ihrer gewonnenen Sitze in den Kommunalparlamenten leer. Damit verpuffen viele Stimmen – und vor Ort verschieben sich die Machtverhältnisse.

Jörg Hofmann hat bei der Gemeinderatswahl in Rackwitz in Nordsachsen mit Abstand die meisten Stimmen gesammelt. Fast 2000, mehr als dreimal so viele wie der Mann von der CDU, der hinter ihm auf Platz zwei landete. 24 Prozent holte Hofmann so für die AfD, vier Leute hätte die Partei in den Gemeinderat schicken können. Oder, aus Sicht ihrer Wählerinnen und Wähler: unbedingt schicken sollen.

Aber Hofmann ist der Einzige, der für die AfD im Ort angetreten ist. Deshalb wird er auch der Einzige sein, der für die Partei im neuen Rackwitzer Gemeinderat sitzt. Drei Viertel der Stimmen für ihn verpuffen, drei Sitze im Rat bleiben leer. „Komisch ist das schon“, sagt Hofmann. „Der Wille, uns zu wählen ist groß. Der Wille, selbst anzutreten, wohl nicht so.“

So wie in Rackwitz ist es an vielen Orten in Sachsen. 44 Sitze bleiben in den Kommunalparlamenten in den Landkreisen Leipzig und Nordsachsen nach Recherchen der LVZ unbesetzt, weil die AfD nicht genug Kandidaten aufgestellt hat. Sachsenweit verfallen, so hat das die Sächsische Zeitung ermittelt, mehr als 100 Mandate. Das heißt: Die Machtverhältnisse in den betroffenen Kommunalparlamenten verschieben sich zu Ungunsten der AfD. Was bedeutet das für die Arbeit dort?

„Die AfD verschenkt Stimmen“

Ein Blick nach Markkleeberg. 17,5 Prozent der Stimmen holte die AfD hier, das hätte fünf Mandate bedeutet. Doch vier Sitze bleiben frei. Karsten Schütze (SPD), Oberbürgermeister der Stadt, kennt das schon. Auch bisher hatte die AfD in Markkleeberg nicht alle der ihr zustehenden Sitze besetzen können. „Für die Funktionsfähigkeit des Stadtrates ist das nicht relevant“, sagt Schütze. Schon generell nicht und auch, weil die bisherigen AfD-Vertreter ohnehin nur sporadisch zu den Sitzungen erschienen seien.

„Der einzige Nachteil ist, dass die AfD die Stimmen verschenkt, dass sie den Wählerauftrag nicht erfüllen kann“, sagt Schütze. Er finde es zudem bedenklich, dass die Bereitschaft, Protest zu wählen, offenbar größer sei, als die Bereitschaft, ein Ehrenamt zu besetzen.

Mit ihren knappen Listen liegt die AfD jenseits des Trends. Mehr als 17.000 Menschen standen sachsenweit am 9. Juni für die Gemeinde-, Stadt- und Ortschaftsräte zur Wahl, etwas mehr als vor fünf Jahren. Neben der AfD hatte nach der Wahl nur das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) Probleme, alle gewonnen Sitze auch zu besetzen, allerdings mit deutlich geringeren Folgen. In vielen Gemeinden ist es gar nicht erst angetreten.

Mit dezimierter AfD finden andere leichter Mehrheiten

Dass die AfD oftmals mit zu wenig Personal zur Wahl stand, ärgert Detlef Bölke. Er sitzt seit 25 Jahren im Gemeinderat von Mockrehna in Nordsachsen, gehört der Freien Wählergemeinschaft Torgau Oschatz (FWG) an. „Viele Menschen haben nicht geschaut, wer sich zur Wahl stellt“, sagt Bölke. „Die AfD wird gewählt, egal, ob sich ihre Vertreter vorher für den Ort eingesetzt haben. Da kann auch ein Sandsack antreten.“ Er könne manchen Unmut der Menschen verstehen, sagt Bölke. „Aber ob die AfD wirklich der Heilsbringer ist und nun alles besser macht?“

Besonders viele Vertreter der Partei werden jedenfalls auch im Gemeinderat Mockrehna nicht sitzen: Fast 30 Prozent holte die Partei hier, genug für fünf Sitze. Besetzen kann sie aber nur zwei. Bölke von der FWG in Mockrehna findet, dass das nicht im Sinne der Mitbestimmung sei. „Aber mir sind zwei von denen natürlich lieber als fünf“, sagt er. Seine Fraktion hat jetzt sieben Sitze im auf 15 Sitze dezimierten Gemeinderat. „Beinahe die Hälfte“, sagt Bölke. „Wenn wir uns gut absprechen, können wir da viel bewegen.“

Ministerpräsident: „Das hat mich unglaublich getroffen“

Der Ärger von Menschen wie Detlef Bölke ist auch schon in der Staatskanzlei angekommen, bei Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Ihn habe, so sagte er das am vergangenen Wochenende auf einer LVZ-Veranstaltung, das Wahlergebnis am 9. Juni mitgenommen. Er höre viele Kommunalpolitiker sagen, dass viele nicht wieder gewählt worden seien, die gut in den kommunalen Gremien gearbeitet hätten. „Und andere, von denen man jahrelang nichts gehört hat, die werden gewählt. Das hat mich unglaublich getroffen“, sagte Kretschmer.

Stimmt denn der Eindruck, der da vermittelt wird: dass die AfD vor Ort kaum engagiert mitarbeite und nur wegen ihrer allgemeinen Popularität gewählt werde? Zurück nach Rackwitz, dieses Mal zu dem Mann mit den zweitmeisten Stimmen nach dem AfD-Vertreter Jörg Hofmann: Matthias Wüste von der CDU. Auch er sagt, dass die bisher drei AfD-Vertreter im Gemeinderat oft abwesend gewesen seien. Fragt man beim zukünftigen AfD-Einzelkämpfer Hofmann nach, dann widerspricht er nicht wirklich. „Ich war bisher sicher nicht der aktivste Gemeinderat.“ Es sei trotzdem wichtig, dass die AfD dort ihre Meinung äußere.

AfD-Vertreter: „Wenn wir uns nicht durchsetzen, liegt das nicht an uns“

Ärgert die AfD der fehlende Einfluss, die Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse? Die Landespartei antwortet auf Fragen dazu nicht. André Wilde tut es. Er ist für die AfD in den Schkeuditzer Stadtrat gewählt worden. Dort könnten sie qua Wahlergebnis zu sechst sein, sind aber nur drei. Wilde ärgert das, einerseits. Andererseits, meint er, sei es aber auch nicht so relevant.

„Wir wollen das eh alles anders machen“, sagt er. „Nach unserem Gewissen abstimmen, uns danach richten, was für die Stadt gut ist.“ Dabei gehe es dann gar nicht so sehr darum, vorab Mehrheiten zu suchen, gemeinsam abzustimmen. „Wir gucken darauf, dass wir drei richtig abstimmen.“ Wenn man sich dann damit nicht durchsetzen könne, liege das nicht an der AfD, sondern an den anderen.